lebende Hamburger Büsch 1797 die Briten sagen: „Seit nur 144 Jahren
zählen wir 66 Jahre der blutigsten Seekriege außer den einzelnen Jahren,
in denen die gekränkte Ehre Albions uns reizte, unseren Widersachern
bloß zu drohen und sie dadurch zur Nachgiebigkeit zu zwingen." Nicht
anders im 19. Jahrhundert. Gleich zu Beginn das Bombardement Kopen­
hagens, um Dänemark seiner Seemacht zu berauben. Dann die gewalt­
same Ausdehnung des britischen Reiches in Asien und Afrika, die
Aneignung Ägyptens, der Burenkrieg. Daß noch heute derselbe
Geist die britische Marine beseelt, zeigt der Rat, den der britische See­
lord Fisher Eduard VII. gegeben hat, ohne Kriegserklärung über Kiel
herzufallen, um sich der deutschen Flotte zu bemächtigen, und sein Plan,
in britischen Schiffen russische Truppen nach Pommern zu fahren, um
sie dort unter dem Schutz von britischen Panzerschiffen ans Land zu
setzen, ein Plan, der schon im Juli 1914 der Ausführung nahe gewesen
sein sollx). Vor allem aber zeigt dies die Vernichtung nicht nur der
deutschen Kriegsmarine, sondern auch der deutschen Handelsmarine im
Versailler Frieden und die Art und Weise, wie England die heroische
Torheit von Scapa Flow genutzt hat, um das Wiederaufleben der deut­
schen Schiffahrt zu erschweren.
Aber Kant ist sich bewußt, daß es außer den von demselben Geiste
wie unsere Militärkaste beseelten noch andere Engländer gibt. Selbst
in der Sittenlosigkeit der Restaurationsperiode und der Ära der Bestech­
lichkeit im 18. Jahrhundert war das puritanische Verlangen nicht unter­
gegangen, daß Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und, statt der
Sonderinteressen Privater, das Wohl der Gesamtheit für das öffentliche
Leben maßgebend sein solle. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts und
die neue Wissenschaft der Nationalökonomie haben es dann auch vom
Standpunkt des aufgeklärten Selbstinteresses gerechtfertigt. Sie haben
gezeigt, daß es einen Widerspruch zwischen dem dauernden Interesse
der Völker und der Sittlichkeit nicht gibt und nicht geben kann. Trotz
unzähliger Niederlagen, welche die dieser Erkenntnis entsprechende Politik
im Kampf mit der den niederen Instinkten schmeichelnden Gewaltpolitik
erlitt, hat sie ihre Gegner Schritt für Schritt zur Durchführung der von
ihr gewollten Reformen genötigt. Ihr verdankt England den Schutz des
einzelnen gegen politische Willkür, ihr die Beseitigung der Ausbeutung
der Kolonien durch das Mutterland, die Abschaffung der Sklaverei in
den Kolonien, die Reform des Strafrechts und des Gefängniswesens,
die Gewährung der Koalitionsfreiheit an die Arbeiter, die Arbeiterschutz­
gesetzgebung, die Abschaffung des Protektions- und Sinekurensystems
') Siehe Foreign AlTairs vom März 1921 p. 144.

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