Erstes Kapitel: Das römische Gut. •17 villa gewesen. Dies gilt in gleicher Weise für Gallien oder Italien, soweit uns die landwirtschaftlichen Ver- hältnisse des letzteren aus dem Briefwechsel Gregors des Ersten und jenen emphyteutischen und livella- rischen Verträgen bekannt sind, die im 7. Jahrhundert von den ravennatischen Bischöfen im Gebiete des Exarehats geschlossen wurden. Wenn wir die bruch- stückweisen Nachrichten, die wir den genannton Quollen entnehmen, dem von Fustel de Coulanges meisterhaft entworfenen Bilde der gallisch-römischen Gutswirt- schaft vergleichshalber gegenüberstellen, so überzeugen wir uns davon, dass die römische villa mit derjenigen eine grosse Ähnlichkeit aufwies, die wir in Gallien in der Epoche des Sidonius Apollinaris vorfinden.1) Hier wie dort zerfällt das Gut oder die villa in zwei gesonderteWirtschaften. Der eine Teil wird ver- mittelst Sklavenarbeit unter persönlicher Aufsicht des Gutsbesitzers oder des von ihm eingesetzten Ver- walters, „villicus, actor," bebaut, während der andere die Gehöfte und Anteile der lebenslänglich oder nur zeitweilig an bestimmte Landstücke gefesselten Sklaven, „servi, glebae adscripti," sowie der freien Pächter, sei es solcher mit kurzer Frist (gewöhnlich fünfjähriger), sei es erblicher, in sich einschliesst. Die Namen mit welchen die Quellen das Gut und ebenso die Anteile, die von einer oder mehreren Familien im Erbschafts- verhältnisse kultiviert werden, bezeichnen, sind die- selben, welche wir in späteren mittelalterlichen Doku- menten antreffen. Villa, fundus, massa, saltus, diese oder jene Zahl von Uncien (unciae) des einen oder des anderen Gutes (fundus) — mit solchen Worten pflegt in den kirchlichen Quellen von Rom und Ravenna und in den 1) S. L'Allen et le domaine rural par Fustel de Coulan- ges, la villa gallo-romaine. S. 91.