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Der deutsche Positivismus: Laas, Riehl, Avenarius.
ringenden Denkarbeit Kants eine Anzahl völlig heterogener Denkprinzipien (eine skeptische, subjektivistische, metaphysisch rationalistische, aprioristisehe und praktische Grundtriebfeder) wirksam seien, welche, einander bekämpfend und lähmend, die Gewinnung zusammenstimmender Resultate unmöglich machen.
Mit kritischer Anknüpfung an Kant entwickeln die deutschen Positi-visten — Ernst Laas in Straßburg (1837—85), Aloys Riehl in Freiburg (geb. 1844) und Richard Avenarius in Zürich (geb. 1843)1 — ihre sensua-listische Erkenntnistheorie. Laas definirt den (von Protagoras gegründeten, in der Neuzeit durch Hume und J. St. Mill vertretenen, dem platonischen Idealismus feindlichen) Positivismus als diejenige Philosophie, welche keine anderen Grundlagen anerkennt, als positive Thatsachen (d. h. Wahrnehmungen) und von jeder Meinung fordert, daß sie die Erfahrungen nachweise, auf denen sie ruht. Die Basis desselben bilden drei Lehrartikel: 1. die correlative Thatsache: Subjekt und Objekt be- und entstehen nur miteinander (Objekte sind unmittelbar nur bekannt als Inhalte eines Bewußtseins, cui objecto, sunt, Subjekte nur als Beziehungscentren, Schauplatz oder Unterlage von Vorstellungsinhalten, cui subjecta sunt; außer meinen Gedanken existiert weder der Körper als Körper, noch ich selbst als Seele); 2. die Variabilität der Wahrnehmungsobjekte; 3. der Sensualismus: aBe spezifischen Unterschiede des Bewußtseins müssen als graduelle, alle höheren geistigen Prozesse und Zustände, auch das Denken, als gesetzlich transformirte Wahrnehmungen und Erlebnisse fühlender, bedürfender, gedächtnisbegabter, spontan beweglicher Wesen begriffen werden. Das Subjekt fällt mit seinem Gefühl der Lust und Unlust zusammen, von welchem sich die Empfindung durch ihren objektiven Inhalt unterscheidet. Die Illusionen der Metaphysik sind wissenschaftlich unhaltbar und praktisch entbehrlich. Gewiß führen über die Sphäre des sinnlich und erfahrungsmäßig Kontrolierbaren mancherlei Sehnsuchten, Bedürfnisse, Ahnungen, Hoffnungen und Phantasien hinaus, aber für keine ihrer Positionen kann ein irgendwie zulänglicher Beweis erbracht werden. Wie die Physik sich der transcendenten Ursachen entschlagen hat und mit immanenten auszukommen weiß, so muß auch die Ethik versuchen, dem sittlich Guten ohne Exkursionen ins Übersinnliche seinen Wert zu gründen. Die ethischen Verbindlichkeiten wachsen aus menschlichen Verhältnissen,
1 Laas: Idealismus und Positivismus, I. Allgem. und grundlegender Teil 1879,
II. Idealistische u. positivistische Ethik 1882, III. Id. u. pos. Erkenntnistheorie 1884. Riehl: Der philosophische Kritizismus 1876 ff., Rede Über wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Philosophie 1883. Avenarius (Herausgeber der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie): Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes, Prolegg. zu einer Kritik der reinen Erfahrung 1876.