Neurath.
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nicht beantwortet. Wir werden im folgenden Kapitel sehen,
dafs es anders auch nicht sein konnte.
Mit der Schäffleschen Krisentheorie berühren sich die
Ausfuhrungen von Wilhelm Neurath*), in denen das
Krisenproblem eine Zentralstelle einnimmt**). Als Haupt-
ursache des Phänomens, dafs m unserer Volkswirtschaft die
steigende Produktivität sich von einem gewissen Punkte
au in sinkende oder verschwindende Rentabilität ver-
wandelt", betrachtet Neurath „einerseits die Art, wie wir
im geschäftlichen Leben den Gesamtwert einer ganzen
G-ütermasse bestimmen, und anderseits die Art, wie wir die
Unternehmungen oder Geschäfte für die ihnen zur Bewirt-
schaftung übertragenen Anlage- und Betriebsmittel mit
Zahlungspflichten belasten" (S. 244). Die heutige vom
Grenznutzen abhängende Wertbildung wird von Neurath
mit einer „richtigen", „wahren", „natürlichen" Wertbildung
kontrastiert, bei der der Gesamtwert eines ganzen Güter-
vorrats durch Hinzukommen weiterer Güter immer weiter
wachse und nicht, wie gegenwärtig, in seinem ganzen Um-
fang sich verändern, ja sogar abnehmen könne (S. 246).
Das zweite krisenbildende Moment sieht Neurath im Zins-
nehmen tmd eo ipso in der Vorwegnahme künftiger Erfolge;
dies sei ein „Phantom", welches die „ganzeLebensentfaltung"
der Volkswirtschaft hemme. Denn, meint Neurath, „von Natur
aus gehört nicht zu den Bedingungen gesunder Produktion
und Wirtschaft, dafs sie aus Wert mehr Wert, aus Geld
mehr Geld erziele" (S. 208 ff.). Zur Realisierung seines
mit Begeisterung verfochtenen sozialen Ideals, oder, wie er
es selber ausdrückt, „zur Erlösung von den uns am schwersten
drückenden sozialökonomischen Übeln" vermögen, nach
*) Wilhelm Neurath, Gemeinverständliche nationalökono-
mische Vorträge. Geschichtliche und letzte eigene Forschungen,
herausg. von Prof. E. 0. von Lippmann, Braunschweig 1902. Ich
wähle dieses Werk zu meinen Zitaten, da hier der Verfasser seine
Gedanken in gedrängter Form ausdrückt.
**) Für das Krisenproblem kommen besonders die Vorträge IX,
X, XI und XII in Betracht.